Auf zu neuen Ufern

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Von LENA BOTZEM UND MARIUS FUHRMANN aus: Kölner Stadtanzeiger vom 19.9.2014
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Der Lohmarer Schüler Tobias Weingarten wird in wenigen Wochen mit 33 weiteren Jugendlichen auf einem imposanten Dreimaster in See stechen. Er ist Teilnehmer des Projekts „Klassenzimmer unter Segeln".

Bild2Sechs Monate auf einem Segelschiff über den Atlantik schippern und als Teil einer 59-köpfigen Besatzung die Länder und Kulturen Lateinamerikas entdecken – das hört sich an wie der fünfte Teil von „Fluch der Karibik" oder die Reisen des Christoph Kolumbus. Im Fall von Tobias Weingarten heißt das Schiff jedoch „Thor Heyerdahl" statt "Santa Maria". Der 15- jährige Gymnasiast nimmt ein halbes Jahr an dem Projekt „Klassenzimmer unter Segeln" teil, organisiert von der Universität Erlangen-Nürnberg.
34 Zehntklässler aus ganz Deutschland fahren auf dem Dreimastsegler „Thor Heyerdahl" in die Neue Welt. Durch Boris Wolter, der selbst schon Lehrer auf dem Dreimaster war und nun am Gymnasium Lohmar unterrichtet, erfuhr Tobias am Ende der siebten Klasse von dem Projekt. Damals war er noch zu jung dafür. Doch er hielt zwei Jahre lang an der Idee fest, eines Tages mitzufahren, bis er alt genug war, sich tatsächlich zu bewerben.

34 Schüler am Bord

Bild3Im Mai wurde Tobias mit 49 anderen ausgewählten Schülerinnen und Schülern aus ganz Deutschland zu einem Probetörn auf der Ostsee eingeladen. Da es neben den Abenteuern auf hoher See vor allem um das Miteinander der Teilnehmer ankommt, wurden erst nach der dreitägigen Reise die 34 Schüler ausgewählt, wer tatsächlich dabei sein würde.

„Da das Miteinander auf dem Schiff sehr wichtig ist, wurde die Gruppe so ausgesucht, dass möglichst jeder Charakterzug vertreten ist", erzählt Tobias. Die 34 Schülerinnen und Schüler sowie ihre 15 Lehrer und Betreuer starten am 18. Oktober in Kiel und segeln zunächst zu den Kanaren, wo die Besatzung das Schiff für die Transatlantikfahrt vorbereiten wird.

Am Ende der Überfahrt stehen mehrere Landaufenthalte in Grenada, Kuba und Panama, bevor die „Thor Heyerdahl" auf der Rückfahrt auf den Bahamas und den Azoren anlegt. In dieser Zeit, mit festem Boden unter den Füßen, wohnen die Schüler bei Gastfamilien oder in Hostels und bereisen gemeinsam oder alleine das Land.

Der Lohmarer Schüler freut sich insbesondere, fremde Kulturen kennenzulernen. „Es prasseln bestimmt vielerlei Eindrücke auf einen ein", malt er sich aus. Ebenfalls reizt ihn die Erwartung, wochenlang nichts als Wasser zu sehen. „Bei einem gewöhnlichen Auslandsjahr in den USA erlebt man so etwas nicht. Deshalb hat mich das auch nie so richtig interessiert", sagt Tobias.

Bild4Die Zeit auf See zwischen zwei Landaufenthalten beträgt maximal drei Wochen. Sowohl auf dem Land, als auch zu Wasser werden die Schüler täglich von Gymnasiallehrern unterrichtet und müssen wie ihre gleichaltrigen Mitschüler in Deutschland Klausuren bewältigen.

„Viele Dinge, die man in der Schule nur theoretisch lernen würden, können wir uns ansehen", betont der 15-Jährige. Die Teilnehmer werden nach dem bayerischen Lehrplan so vorbereitet, dass sie nach den sechs Monaten auf See wieder in den normalen Unterricht einsteigen können, ohne ein Jahr wiederholen zu müssen, wie es bei Schülern, die ein Jahr im Ausland verbracht haben, häufig der Fall ist.

Obwohl so viel Unbekanntes auf Tobias wartet, hat er keine Angst vor der Herausforderung. „Ich stelle es mir ungewohnt vor, so lange von zu Hause weg zu sein und nur noch wenig von Familie, Freunden und meiner Freundin mitzubekommen, aber die Vorfreude unterdrückt jedes aufkommende Gefühl von Unbehagen." Vor Heimweh habe er ebenfalls keine Angst. Ob das so bleibt, werde sich spätestens an Weihnachten zeigen. Die Besatzung wird das Fest auf Grenada erleben.

„Man hat nicht viel Zeit an die Familie zu denken, sondern lebt immer in der momentanen Situation", stellt Tobias sich vor. Auch dem Aspekt, dass er mitten im Meer ohne sozialen Medien, wie WhatsApp und Facebook, auskommen muss, schaut Tobias positiv entgegen. „Wenn mich das stören würde, hätte ich mir was anderes gesucht."

Ihm sei die Zusammenarbeit mit der Crew wichtiger. „Ich denke, dass mich die Reise vor allem menschlich weiterbringt. Durch Konflikte lernt man, sich mit anderen auseinanderzusetzen, das lässt ein unheimliches Gemeinschaftsgefühl entstehen", sagt er. Genau das sei das Ziel des Projekts. „Wenn man mal Zeit für sich braucht, gibt es auf dem Schiff genügend Rückzugsorte." Die Schüler leben auf dem Schiff mit vier bis sechs anderen Personen zusammen. Der zwischenmenschliche Aspekt soll besonders durch die drei geplanten Schiffsübergaben gefördert werden, bei denen die professionelle Besatzung des 50 Meter langen Schiffs ihre Aufgaben für eine bestimmte Zeit auf die Schüler überträgt.

Wenn die „Thor Heyerdahl" am 25. April 2015 wieder in Kiel vor Anker geht, hofft Tobias von seinen Erfahrungen profitieren zu können und seinem Traumberuf Pilot ein Stück nähergekommen zu sein. Auch wenn das Schiff in Regionen anlegt, die längst nicht mehr unentdeckt sind, wird Tobias Weingarten wohl wie einst Christoph Kolumbus die Reise seines Lebens unternehmen.

 

Große Reise gilt als Auslandsjahr

Das Projekt „Klassenzimmer unter Segeln" wird jedes Jahr von der Universität Erlangen-Nürnberg für Gymnasiasten der zehnten Klasse angeboten. Die Bewerbung muss bis März vor Reiseantritt eingereicht werden. Von Oktober bis April fahren die ausgewählten Jugendlichen mit der „Thor Heyerdahl" über den Atlantik in verschiedene Karibikstaaten und werden dabei von mitfahrenden Lehrern unterrichtet. Das Projekt ist einem Schulbesuch im Ausland gleichgestellt, die Freistellung muss die jeweilige Schulleitung erteilen. Die Kosten der Reise betragen monatlich gut 2800 Euro.

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